Ungleiches Deutschland

Ein kleiner satirischer Einstieg

Präsentation

Design von Olaf Dinkela

Ungleich verteilt – Einkommen, Vermögen und Gerechtigkeit in Deutschland

Die Verteilung von Einkommen und Vermögen zählt zu den drängendsten sozialen Fragen in Deutschland – nicht nur im politischen Diskurs, sondern auch in der alltäglichen Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Während sich die ökonomische Gesamtlage des Landes stabil zeigt und Rekorde bei Beschäftigung und Unternehmensgewinnen vermeldet werden (aktuelle Rezession/Stagnation einmal ausgeklammert), gehen die Scheren zwischen Arm und Reich, Besitz und Perspektivlosigkeit weiter auseinander.

Ein zentrales Ergebnis wissenschaftlicher Analysen ist der Befund, dass Vermögen in Deutschland ungleichmäßiger verteilt sind als Einkommen – und dass diese Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten weiter zugenommen hat. Die sogenannte Wealth-Income-Ratio, also das Verhältnis von Gesamtvermögen zu Jahreseinkommen der privaten Haushalte, liegt heute bei rund 600 %. Das heißt: Das gesamte Vermögen übersteigt die jährlichen Einkommen um das Sechsfache – ein historischer Höchstwert und ein Indiz dafür, dass sich Vermögen als Form wirtschaftlicher Macht zunehmend von Erwerbsarbeit entkoppelt hat.

Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland bei der Vermögenskonzentration im oberen Bereich. Etwa 10 % der Bevölkerung besitzen mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens, während die untere Hälfte kaum nennenswerte Rücklagen aufweist. Besonders auffällig: Das reichste Prozent der Bevölkerung hält allein ein Drittel aller Vermögen – Tendenz steigend.

Anders stellt sich die Lage beim Einkommen dar: Zwar ist auch hier eine Ungleichheit messbar, allerdings ist sie deutlich geringer als bei Vermögen – vor allem dank steuerlicher Progression und Sozialtransfers. Doch auch die Einkommensungleichheit nimmt zu. Der Gini-Koeffizient des verfügbaren Einkommens ist von etwa 0,26 in den 1990er Jahren auf über 0,30 in der Gegenwart gestiegen. Das bedeutet: Die Einkommensverteilung wird insgesamt ungleicher, wenn auch langsamer als bei Vermögen.

Gini-Koeffizient

Was ist der Gini-Koeffizient?

Der Gini-Koeffizient ist ein Maß zur Darstellung von Ungleichheit, vor allem bei Einkommen oder Vermögeninnerhalb einer Gesellschaft.

Er bewegt sich zwischen:

  • 0 = völlige Gleichverteilung (alle haben gleich viel)
  • 1 = maximale Ungleichverteilung (eine Person hat alles, alle anderen nichts)

In der Realität liegt der Gini-Koeffizient in Industrieländern meist zwischen 0,25 und 0,40 für Einkommen, bei Vermögen häufig deutlich höher (z. B. über 0,70), da Vermögen ungleicher verteilt ist als Einkommen. Ein Gini-Wert von 0,30 bedeutet: Es gibt eine gewisse, aber noch moderate Ungleichheit beim Einkommen. Ein Wert von 0,80 (bei Vermögen) zeigt: Einige wenige besitzen sehr viel, viele andere fast nichts. Der Gini-Koeffizient hilft dabei, soziale Ungleichheit vergleichbar zu machen – sowohl zwischen Ländern als auch über die Zeit hinweg. Er ist ein zentraler Indikator in Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen.

Diese Entwicklungen sind nicht nur statistisch relevant, sondern gesellschaftlich hochbrisant. Denn Vermögen – vor allem in Form von Immobilien oder Kapitalanlagen – vererbt sich nicht nur, es verfestigt soziale Chancen. Wer Vermögen besitzt, kann es nutzen, um Bildung, Sicherheit und Aufstiegschancen für die nächste Generation zu sichern. Wer keines besitzt, muss mit knapper Zeit, begrenztem Spielraum und hoher Verletzlichkeit leben – trotz Arbeit.

In der politischen Debatte führen diese Ungleichgewichte zu erneuten Forderungen nach Reformen: etwa nach einer stärkeren Erbschaftsbesteuerung, nach einer Vermögensabgabe oder nach besseren Rahmenbedingungen für die Kapitalbildung in unteren Einkommensgruppen. Gleichzeitig geraten Fragen der Gerechtigkeit in den Fokus: Wie lassen sich LeistungsgerechtigkeitChancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit miteinander in Einklang bringen? Und wie kann ein wirtschaftlich starkes Land verhindern, dass seine soziale Stabilität erodiert?

Einkommens- und Vermögensverteilung sind keine Naturgesetze – sie sind das Ergebnis politischer Entscheidungen, institutioneller Regelungen und gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Gerade deshalb gehören sie ins Zentrum demokratischer Aushandlung. Denn nur eine Gesellschaft, in der Teilhabe nicht vom Kontostand abhängt, sondern von gleichen Chancen und fairem Zugang zu Ressourcen, kann langfristig Vertrauen und Zusammenhalt sichern.

Thomas Piketty und die Rückkehr der Ungleichheit

Der französische Ökonom Thomas Piketty wurde mit seinem Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (2013) international bekannt. In diesem über 1.000 Seiten starken Werk untersucht Piketty die langfristige Entwicklung von Einkommen und Vermögen in den westlichen Industrieländern – und zwar auf Grundlage umfangreicher historischer Daten über mehrere Jahrhunderte. Es gilt als DAS Werk zum Thema.

Piketty bringt den Datencorpus seines Opus Magnum auf eine einfache zentrale Formel. Sie lautet:

r > g
(Die Rendite auf Kapital ist langfristig höher als das Wirtschaftswachstum)

Das bedeutet: Wer bereits Vermögen hat, kann es mit Zinsen, Dividenden oder Immobiliengewinnen schneller vermehren, als die Wirtschaft insgesamt wächst. Wer kein Vermögen besitzt, kann nur durch Arbeit Einkommen erzielen – und verliert im relativen Vergleich. Dadurch vergrößert sich mit der Zeit die Vermögensungleichheit.

Diese Dynamik – so Piketty – war bereits im 19. Jahrhundert stark ausgeprägt, wurde aber im 20. Jahrhundert (insbesondere nach den Weltkriegen) durch hohe Steuern, Inflation und sozialen Ausgleich vorübergehend gebremst. Seit den 1980er Jahren aber kehrt die ungleiche Konzentration von Reichtum in vielen Ländern zurück.

Die Folgen: Demokratische und soziale Risiken

Piketty warnt, dass zu große wirtschaftliche Ungleichheit die Demokratie gefährdet:

  • Reiche Menschen und Konzerne könnten zu viel Einfluss auf Politik und Medien gewinnen.
  • Soziale Mobilität sinkt, Bildungschancen hängen stärker vom Elternhaus ab.
  • Das Vertrauen in die Gerechtigkeit des Systems nimmt ab.

Lösungen laut Piketty:

  • Globale progressive Vermögenssteuer
  • Stärkere Erbschafts- und Kapitalbesteuerung
  • Investitionen in Bildung und soziale Infrastruktur
  • Demokratisierung der Wirtschaft (z. B. Mitbestimmung in Unternehmen)
Weitere Werke

Weitere Werke:

  • Kapital und Ideologie (2019): noch breiter angelegte Analyse globaler Ungleichheit und politischer Rechtfertigungen von Eigentumssystemen.
  • Eine kurze Geschichte der Gleichheit (2021): populärwissenschaftliche Einführung in seine zentralen Gedanken.

Fazit: Piketty hat die Diskussion über soziale Gerechtigkeit, Eigentum und Umverteilung neu belebt – mit dem Anspruch, wirtschaftliche Analyse und demokratische Verantwortung zu verbinden. Seine Werke fordern Politik, Gesellschaft und Ökonomie heraus, die Frage nach dem „gerechten System“ neu zu stellen.

Gerechtigkeit – ein umstrittenes Ideal

Vorab noch einmal über Armut nachgedacht

Konkurrierende Gerechtigkeitsbegriffe:

BegriffDefinitionBeispiel
LeistungsgerechtigkeitWer mehr leistet, soll mehr bekommenBonuszahlung, leistungsorientiertes Gehalt
BedarfsgerechtigkeitWer mehr braucht, soll mehr erhaltenSozialhilfe, Wohngeld, BAföG
ChancengleichheitAlle sollen die gleichen Startbedingungen habenZugang zu Bildung, Antidiskriminierung
VerteilungsgerechtigkeitGleichmäßigere Verteilung von RessourcenVermögenssteuer, Erbschaftssteuer

In Gruppen behandelt…

Gruppe 1 – Leistungsgerechtigkeit

Fallbeispiel:

Julia und Lukas arbeiten im selben Unternehmen. Julia hat ein Masterstudium und leistet regelmäßig Überstunden. Lukas hat eine Ausbildung gemacht, erfüllt seine Aufgaben gut, arbeitet aber nie mehr als notwendig. Julia verdient 1.500 € mehr im Monat. Lukas findet das ungerecht – er sei ebenso zuverlässig und loyal.

Aufgaben:

  1. Welcher Gerechtigkeitsbegriff wird hier angesprochen?
  2. Ist das Gehaltsgefälle aus Sicht der Leistungsgerechtigkeit gerechtfertigt?
  3. Wo liegen mögliche Grenzen dieses Prinzips?
  4. Welche gesellschaftlichen Konsequenzen hätte eine durchgängige Anwendung dieses Prinzips?

Gruppe 2 – Bedarfsgerechtigkeit

Fallbeispiel:

Samira ist alleinerziehend mit zwei kleinen Kindern und arbeitet Teilzeit als Verkäuferin. Ihr Einkommen reicht kaum zum Leben. Ihr Kollege Tim ist ledig, verdient das Gleiche, lebt aber alleine in einer günstigen Wohnung. Samira bekommt zusätzlich Wohngeld und Kinderzuschlag. Tim meint, das sei „nicht fair“.

Aufgaben:

  1. Welcher Gerechtigkeitsbegriff ist hier Grundlage staatlichen Handelns?
  2. Wie begründet sich die zusätzliche Unterstützung für Samira?
  3. Wie könnte man Tim erklären, warum das bedarfsgerecht ist?
  4. Wo liegen mögliche Spannungen zwischen Bedarfs- und Leistungsgerechtigkeit?

Gruppe 3 – Chancengleichheit

Fallbeispiel:

Ali und Paul bewerben sich für denselben Studienplatz. Ali ist Sohn einer türkischen Putzkraft, Paul Kind eines Arztes. Beide haben das gleiche Abitur, aber Paul konnte jahrelang teure Nachhilfe nutzen und im Ausland Praktika machen. Ali musste neben der Schule jobben. Die Hochschule wählt Paul aufgrund „besserer Profilbildung“.

Aufgaben:

  1. Was bedeutet Chancengleichheit in diesem Fall?
  2. Ist die Auswahlentscheidung aus Sicht der Chancengleichheit problematisch?
  3. Welche politischen Maßnahmen könnten helfen, echte Chancengleichheit herzustellen?
  4. Wie beeinflusst soziale Herkunft Lebenschancen?

Gruppe 4 – Verteilungsgerechtigkeit

Problemaufriss:

Die Bundesregierung plant eine Reform der Erbschaftssteuer: Große Vermögen ab einer Million Euro sollen höher besteuert werden. Davon betroffen sind vor allem vermögende Haushalte, bei denen Immobilien, Unternehmensanteile oder Geldvermögen vererbt werden. Der Reformvorschlag stößt auf heftige Kritik von Wirtschaftsverbänden, während Sozialverbände ihn begrüßen. Eine Umfrage zeigt: Die Mehrheit der Bevölkerung findet die Erbschaftssteuer zu niedrig.

Zur gleichen Zeit klagen immer mehr junge Erwachsene darüber, dass der Weg zu Eigentum, Vermögensaufbau oder Investitionen „verbaut“ sei – vor allem, wenn sie nicht erben können.

Aufgaben:

  1. Was bedeutet Verteilungsgerechtigkeit in diesem Zusammenhang?
  2. Wie lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen Eigentumsschutz und Umverteilung begründen?
  3. Welche Argumente sprechen für eine stärkere Erbschafts- oder Vermögenssteuer – und welche dagegen?
  4. Welche Rolle spielt der Staat bei der Schaffung von mehr Verteilungsgerechtigkeit?

Verfeinere das Bild – unsere kleine Competition