Zusammenfassung: Der Sicherheitsbegriff – Facetten, Spannungen, Wandel
Kernidee:
Sicherheit ist ein Grundbedürfnis und Kernanliegen, wie auch zugleich ein politischer und gesellschaftlicher Leitbegriff, der alle Lebensbereiche durchzieht. Sicherheit ist die unverzichtbare Voraussetzung für unser demokratisches Zusammenleben – Sicherheit ist ein schillernder, kontroverser und dynamischer Begriff, der sich historisch, disziplinär und kulturell verändert hat.
Mehrdeutigkeit und Unschärfe
Sicherheit entzieht sich einer eindeutigen Definition. Während im Englischen zwischen security (Schutz vor Angriffen) und safety (Betriebssicherheit, Unfallfreiheit) unterschieden wird, fehlt diese Trennung im Deutschen. Dadurch wird der Begriff zu einem „catch-all“-Begriff – er ist allgegenwärtig, aber gleichzeitig auch unscharf.
In der Politik ist Sicherheit zugleich Ziel, Mittel und Rechtfertigung von Handeln. Wer „Sicherheit“ beansprucht, setzt Prioritäten und begründet Machtansprüche.
Das Sicherheitsdilemma
Ein gibt ein zentrales Paradoxon: Mehr Sicherheitspolitik erzeugt nicht selten neue Unsicherheiten.
Technische Innovationen, Überwachung, Risikomanagement oder staatliche Kontrollausweitungen suggerieren Schutz, schaffen aber auch Abhängigkeiten und neue Verwundbarkeiten. Der Staat wird zum Opfer seines eigenen Erfolges: Je sicherer er alles macht, desto größer wird auch das Bedürfnis nach Sicherheit der Bürger – das ist ein permanenter Eskalationskreislauf.
Doppelte Dimension: objektive und subjektive Sicherheit
Sicherheitsakteure müssen tatsächliche und gefühlte Unsicherheit gleichermaßen adressieren.
Das schließt sowohl reale Bedrohungen (z. B. Kriminalität, Katastrophen, Pandemien) als auch die Wahrnehmung und mediale Konstruktion von Gefahr mit ein.
Wandel und Erweiterung des Sicherheitsbegriffs
Seit dem 20. Jahrhundert wandelt sich Sicherheit von reaktiver Gefahrenabwehr hin zu einem präventiven Risikomanagement.
Nach 9/11 etwa wurde das präventive Sicherheitsdenken durch Forderungen nach einem „starken Staat“ ergänzt. Der Begriff wurde ausgeweitet – auf wirtschaftliche, ökologische, technologische und humanitäre Felder.
Der erweiterte Sicherheitsbegriff umfasst:
- die Verschränkung innerer und äußerer Sicherheit,
- die Einbeziehung internationaler und nichtstaatlicher Akteure,
- die Globalisierung von Sicherheitsfragen,
- und die Abkehr vom rein staatlichen Sicherheitsmonopol.
Sicherheitskultur
Gemeinhin werden vier Dimensionen beschrieben, in denen sich Sicherheitskulturen unterscheiden:
- Referenzdimension: Wessen Sicherheit ist gemeint (Staat, Gesellschaft, Individuum)?
- Sachdimension: In welchem Problemfeld (militärisch, ökologisch, digital …)?
- Raumdimension: Wo (national, regional, global)?
- Gefahrendimension: Wie wird Bedrohung definiert (Risiko, Feind, Katastrophe …)?
Sicherheitskultur bezeichnet also die gesellschaftlich geteilten Werte, Deutungen und Praktiken, die letztlich bestimmen, was als Gefahr gilt und wie man ihr begegnet.
Neue Akteure und Governance-Strukturen
Sicherheit ist nicht mehr ausschließlich Sache des Staates. Vielmehr gibt es Kooperationen zwischen Polizei, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen. Sie prägen zunehmend die Sicherheitsarchitektur.
Diese Vernetzung und Heterogenität verlangt neue Organisationsformen und Wissenstypen – klassische Kategorien wie „innen/außen“ oder „staatlich/privat“ verlieren an Bedeutung.
Wir halten fest:
Sicherheit und Unsicherheit sind dialektisch miteinander verbunden. Absolute Sicherheit ist unerreichbar – sie dient als „Navigationshilfe“ in einer pluralistischen Demokratie, deren normativer Rahmen das Grundgesetz bleibt.
Sicherheit kann nicht normiert, sondern nur diskursiv, interdisziplinär und prozesshaft verstanden werden.
Glossar zentraler Schlüsselbegriffe
| Begriff | Kurzdefinition / Bedeutung |
|---|---|
| Sicherheit | Zustand der Abwesenheit von Gefährdung; zugleich normatives Ziel, politischer Wert und gesellschaftliches Konstrukt. |
| Unsicherheit | Gegenbegriff zu Sicherheit; unvermeidbarer Bestandteil sozialer Wirklichkeit; erzeugt Handlungsdruck. |
| Security / Safety | Im Englischen differenzierte Dimensionen: „Security“ = Schutz vor Angriffen; „Safety“ = Schutz vor Unfällen / Betriebsgefahren. |
| Catch-all-Begriff | Begriff, der so weit gefasst ist, dass er nahezu alles umfassen kann und dadurch unscharf wird. |
| Sicherheitsdilemma | Paradoxer Effekt: Mehr Sicherheitsmaßnahmen erzeugen neue Unsicherheiten. |
| Innere Sicherheit | Schutz des Staates und seiner Bürger vor inneren Gefahren (Kriminalität, Terrorismus, Katastrophen); umfasst staatliche und nichtstaatliche Akteure. |
| Äußere Sicherheit | Schutz vor Bedrohungen von außen (andere Staaten, transnationale Akteure, Kriege). |
| Erweiterter Sicherheitsbegriff | Konzept der Verbindung innerer und äußerer Sicherheit; Ausdehnung auf neue Felder (Ökologie, Wirtschaft, humanitäre Sicherheit). |
| Sicherheitskultur | Werte, Deutungen und Praktiken, die bestimmen, wie Gesellschaften Sicherheit und Unsicherheit verstehen und gestalten. |
| Risikogesellschaft | Gesellschaft, die durch den Umgang mit selbst erzeugten Risiken (Technik, Umwelt, Globalisierung) geprägt ist. |
| Prävention / Präemption / Reaktion / Proaktion | Zeitliche Logiken der Sicherheitspolitik: vorbeugend, vorbeugend-aggressiv, reaktiv oder vorausschauend. |
| Sicherheitsakteure | Staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure, die an der Herstellung und Verwaltung von Sicherheit beteiligt sind. |
| Legitimation des Staates | Sicherheit als zentrale Begründung staatlicher Autorität und Gewaltmonopol. |
| Sicherheitsdiskurs | Öffentliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung darüber, was als Gefahr gilt und welche Maßnahmen gerechtfertigt sind. |
| Sicherheitsarchitektur | Strukturelles Zusammenspiel von Institutionen und Akteuren in der Herstellung von Sicherheit auf verschiedenen Ebenen. |